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Die Rache des Rumpelstilzchens Versuch einer literarisch-volkskundlichen Rezension. Das Neuburger Papp & Klapp Theater, setzte am 16. Juni 2007 im Weveldhaus seine regel - mäßigen Theateraufführungen mit einer Premiere fort. Gezeigt wurde und wird in weiteren   Aufführungen von Regisseur und Autor Hans Hirschmüller zusammen mit seinen Schauspiel - kolleginnen Ellen Wittmann und Alice Klötzel eine Märchenrezeption der Gebrüder Grimm,   das Stück „Rumpelstilzchens Rache“. Das kleine Ensemble, dem als Techniker und Beleuchter N. N. angehört, hat einen ganz ei - genständigen Stil entwickelt. Dies gilt für die selbst gestalteten Stücke und deren Regie und   für das mit sparsamen Mitteln, aber immer einfühlsam und fantasiereich gestaltete Bühnen - bild, das neben sparsam verwendeten Requisiten und Kostümen, entsprechend dem selbst ge - wählten Ensemblenamen, aus klappbaren oder zu wendenden Pappmasken oder in Pappe ge - stalteten Puppen und weiteren Requisiten besteht. Sie ermöglichen dem Regisseur bestimmte,   mehr erzählende Sequenzen des Stückes in eine Art Puppentheater zu verlegen. Ein wesentli - ches Element der Aufführungen mit den geschilderten Mittel ist die Beleuchtung, welche die   märchenhafte, scheinbar mit den Mitteln kindlicher Fantasie geschaffene Wirkung der Auf - führungen noch verstärkt. Sehr gut passt zu dieser Art des Theaterspiels der kleine dunkle   Raum - die „Black-Box“ - der Vortragsraum des Stadtmuseums mit seiner Bühne. Gespannt   darf man sein, wie das ganze dann auf der Freilichtbühne des Weveldhauses vor dem Wehr - gang wirken wird. Die Aufführung beginnt mit der Lesung der Silfingerl-Sage aus dem Wellheimer Tal bei   Aicha. Diese Sage, aus einer Sammlung des Neuburger Historikers und Pfarrers von Hütting,   stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und weist Ähnlichkeiten mit dem Märchen Rum - pelstilzchen der Gebrüder Grimm auf. Sie ist von Böhaimb in mehreren Fassungen überliefert   worden und er hat sie nach seinen Angaben aus dem Volksmund entnommen 1 . In dieser Sage verpfändet die Tochter des verarmten und übrigens durchaus historisch beleg - ten Ritters Groß dem hier als „Silfingerl“ bezeichneten Rumpelstilzchen ihre Seele. Nur dann,   wenn sie seinen Namen Silfingerl nennen kann, erhielte sie ihr Pfand zurück und der Geist   würde leer ausgehen. Die rothaarige, arme Rittertochter ist einverstanden, der Naturgeist er - füllt seinen Vertrag und es kommt, wie wir aus dem Grimms-Märchen wissen: Sie erfährt   durch den von ihr ausgesandten Boten seinen Namen, und kann ihn auf diese Weise überlisten   und um den Preis für seine Leistung bringen. Der Kern der Sache ist: Mit dem Namen und nur   mit ihm gewinnt sie eine mythische Macht über den Naturgeist! Die Geschichte ist, wie bei solchen Volkssagen typisch, ganz einfach und holzschnittartig er - zählt. Handelnde Hauptperson ist hier eindeutig die junge Frau, dass sie die Tochter eines Rit - ters ist, erfahren wir nur zur Bestimmung ihrer Herkunft. Der Naturgeist hat nur ein Bestre - ben, nämlich in den Besitz einer menschlichen Seele zu gelangen. Denn bei aller märchenhaf - ten Macht, die ihm verliehen ist, besitzt er doch keine unsterbliche Seele und ist insofern den   Tieren gleichgestellt 2 . 1  Siehe Neuburger Kollektaneenblatt, Band 136 (1984), Karl August Böhaimb. Sitten Sagen und Gebräuche aus   der Donaugegend um Neuburg. Manuskriptbearbeitung: Roland Thiele, S. 168-170.  2  Zur Rolle der Naturgeister siehe Theophrast von Hohenheim: Das Buch der Nymphen, Pygmaeen, Sylphen, Sa - lamandern und den übrigen Geistern, Faksimile-Ausgabe, Basilisken-Presse, Marburg an der Lahn 1996 Im Mittelpunkt des eigentlichen Stückes von Hans Hirschmüller steht dann das Märchen   „Rumpelstilzchen“ der Gebrüder Grimm 3 . Hier wird die Geschichte schon vielschichtiger und   unter Zuhilfenahme weiterer Figuren erzählt. Das Mädchen ist hier die Tochter eines armen   Müllers und er ist es, der dem König seine Tochter mit der Fähigkeit anpreist, Stroh zu Gold   zu spinnen. Der König lässt sie auf sein Schloss kommen und befiehlt ihr bei Todesstrafe ihre   Fähigkeit unter beweis zu stellen. Nun kommt ihr der Zwergengeist zu Hilfe und begnügt sich   zunächst mit ihrem Halsband als Lohn. Als der König sie die Nacht darauf in eine andere   Kammer voll Stroh sperrt, das sie wieder zu Gold spinnen soll, kommt ihr das Rumpelstilz - chen erneut zu Hilfe und gibt sich mit einem Ring als Lohn zufrieden. Doch der König, der   ihr nun die Ehe und damit das klassische „Happyend“ für ein armes Bürgermädchen ver - spricht, will  noch einen dritten Beweis ihrer Kunst und als das Männchen ihr zum dritten   Male helfen soll, verlangt es ihr erstes Kind, wenn sie Königin wäre. Die Rolle des Mädchen hier eher passiv: Sie fügt sich ohne Widerspruch in das Gebot ihres   Vaters und des Königs und erscheint in ihrer Rolle festgelegt. Auch das Streben, ja die Gier   des Königs nach Gold, die durchaus nachrangig vor dem Wunsch steht, die Müllerstochter zu   heiraten, bleibt unhinterfragt. Die Rolle des Geistes ist hier dagegen nicht so klar abgegrenzt,   wie in der Sage: Erst gibt er sich mit verschiedenen, an sich belanglosen Dingen aus dem Be - sitz des Mädchens zufrieden und erst am Ende, bei Erfüllung der heiligen Dreizahl verlangt er   das Kind selbst, nicht ausdrücklich seine Seele.  Hans Hirschmüller nimmt nun als Autor das Märchen als Voraussetzung und Hintergrund sei - ner eigenen dramatischen Geschichte. Wie im Märchen erleben wir einen armen Müller mit   seiner Tochter. Sie sind bankrott und hungrig und stehen vor der Obdachlosigkeit, da ihr Haus   überschuldet ist. Nun klopft ein Ururenkel des Rumpelstilzchens an die Türe und wird   schließlich eingelassen. Er hat mit seinem Ahn aber nur wenig zu tun. Er ist nur das ferne sä - kularisierte Abbild eines Naturgeistes. Aber er will seinen Ahnen für die Unbill, die ihm an - getan wurde, und - auch ganz modern - für sein schlechtes Image durch das Grimms-Märchen   rächen. Er braucht dabei keine übersinnlichen Fähigkeiten - nein - er hat die Schuldscheine   der Müllerfamilie aufgekauft und droht, Vater und Tochter aus dem Haus zu werfen. Statt der   Macht des Naturgeistes wirkt hier die moderne Macht des Kapitals!  Nun veranlasst er den Müller und seine Tochter das Märchen spielerisch zu wiederholen und   zwingt sie, ihre Rollen und gleichzeitig die des Märchens zu überdenken. Ist nicht der Müller   ein verbrecherischer Rabenvater, wenn er seine Tochter dem König ausliefert und doch ganz   genau weis, das sie kein Stroh zu Gold spinnen kann. Und dann der König: Ist seine Gier nach   Gold nicht verwerflich und abscheulich? Gold ist für den späten Enkel des Geistes gleichzu - setzen mit Geld, mit Kapital. Im Märchen aber war das Königsgold noch etwas anderes, ein   mythischer Schatz, ein Bestandteil des Königsheils, nicht bestimmt für Verzinsung und Inves - tition! Was, fragt der moderne Hirschmüller-Geist, ist dem König  an der Müllerstochter wirk - lich wichtig, wenn er sie schließlich heiraten will. Zur Zeit der Gebrüder Grimm aber war die   Ehe eben nicht oder ganz selten die autonome Entscheidung für einen geliebten Partner, son - dern ein wirtschaftlich und rollenbestimmter Familienvertrag. Schließlich die Müllerstochter selbst: Warum fügt sie sich den Geboten ihres Vaters und des   Königs widerspruchslos? Ist es nicht eine verwerfliche Schwäche, sich allem zu fügen? Er   führt ihr vor Augen, dass sie sich hätte weigern sollen, ja müssen, den König unter diesen um - ständen zu heiraten. Im Märchen wäre eine solche Handlungsweise noch undenkbar, auf jeden   Fall sündig gewesen. Die moderne Müllerstocher aber, zunächst widerspenstig, wegen der   3  Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm, Winkler Verlag, München, 1949, 12. Auflage   1989, S. 314, Nr. 55 Rumpelstilzchen. Veränderung des ihr vertrauten Märchens, wird schließlich von den Argumenten des   Hirschmüller-Geistes überzeugt und sagt nein zu dem ganzen Komplott. Der verwandelte, sä - kularisierte Naturgeist ist erlöst. Einer menschlichen Seele bedarf er nicht mehr. Hans   Hirschmüller zeigt hier einen spielerischen, sehr reizvollen Umgang mit dem vertrauten Mär - chentopos, den er mit modernen Wertvorstellungen füllt. Zum Wesen der alten Naturgeister der Sage und des Märchens aber kann uns folgendes Ge - dicht, fußend auf dem Traktat des Paracelsus über die Geister zurückführen:       Von Geist und Fleisch der Naturgeister In Feuer, Wasser, Luft und Stein lebt eine Schöpfung, Kreatur, von der Gott sagt‘ und sprach: sie werde, nicht aus dem Geisterreich, noch Menschen dieser Erde, von beiden unterschieden, doch beider Art Natur. Das Fleisch der Menschen, Tiere auch, in Feld und Flur, ist grobes Fleisch, sein Boden ist die Erde, der zweiten Schöpfung Fleisch dringt ohn‘ Gefährde durch Stein und Wand, wie zarter Hauch, wie Atem nur. Es gibt die Wasser-, Luft- und Berg- auch Feuerleute, die leben geistergleich, zugleich nach Menschen Brauch, geboren wie der Mensch, sie müssen sterben auch. Willst du sie schauen, jetzt und hier und heute, so blick‘ nicht auf die Welt, nicht auf den äußern Lauf, nur Gottes Schöpferlicht tut dir die Augen auf. Roland Thiele